Faber - ein
moderner Ödipus?
In seinem Roman spielt Frisch an diversen Stellen sehr
deutlich auf das antike Drama von Sophokles „König Ödipus“ an.
Hier wollen wir der Frage auf den Grund gehen, ob
Faber ein moderner Ödipus ist.
Zunächst einmal schauen wir uns die Vorlage an,
nämlich das antike Drama:
Darin tötet König Ödipus unwissentlich seinen eigenen
Vater und begeht - ebenfalls unwissentlich - Inzest mit seiner Mutter. Als sie
erfuhr, dass sie mit ihrem eigenen Sohn geschlafen und vier Kinder gezeugt
hatte, erhängte sie sich und er stach sich die Augen mit ihrer Spange aus, da
er die Welt nicht mehr sehen konnte, nachdem er die Wahrheit gesehen hatte.
Frisch übernimmt also die Grundidee, konstruiert aber
statt eines Mutter-Sohn-Inzests ein Vater-Tochter-Inzest. Freud vermutet, dass
es sich um eine Ur-Fantasie eines Kindes handelt, das Elternteil des gleichen
Geschlechts als Rivalen zu beseitigen und das andere Elternteil sexuell zu erobern.
Im Falle eines Vater-Tochter-Inzests spricht man vom „Elektrakomplex“.
Laut Faber ist die Initiative stets von Sabeth und
nicht von ihm ausgegangen.
Außerdem gibt es einige mythologische Anspielungen,
beispielsweise die Schlange, die für die alten Griechen Dienerinnen der
Erddämonen. Frisch spielt auch auf die Erinnyen an, die Inzucht mit Tod und
Verderben bestraften, besonders in der Szene, als Faber den ,,Kopf einer
schlafenden Erinnye" für sich entdeckt. Wenn Sabeth bei der Geburt der Venus
steht, gibt es Schatten, das Gesicht der schlafenden Erinnye wirkt
augenblicklich viel wacher und lebendiger. Da Venus die Göttin der
Fruchtbarkeit und der Liebe ist und sie somit einen starken Kontrast zu der
Erinnye verkörpert, wird die Wirkung noch verstärkt: Steht eine Person neben
der Liebe und Fruchtbarkeit, wird die Antipathie und das Verderben lebendig.
Ein letzter Hinweis wäre die Klytemnästra. Sie war die Gattin des Agamemnon,
welcher das griechische Heer vor Troja führte. Er opferte ihre gemeinsame Tochter
Iphigenie. Daraufhin erschlägt Klytemnästra ihn rücklings im Bad mit einer Axt.
Auch als Faber in Hannas Wohnung in der Badewanne liegt, fragt er sich, warum
Hanna nicht hineinkommt um ihn ,,von rückwärts mit einer Axt zu
erschlagen." (S.136). Auch spielt Faber mit dem Gedanken, sich die Augen
mit zwei Gabeln auszustechen (S.192).
Trotz dieser vielen Parallelen kann unserer Meinung
nach Faber nicht als moderner Ödipus gesehen und verstanden werden.In „König
Ödipus“ ist die Schuld für dessen Inzest bei dem Orakel, bei den Göttern, bei
dem Schicksal suchen. In Homo Faber liegt die Schuld in den Folgen seines
rationalen Selbst- und Weltbild und kann deshalb nur bei ihm selbst gesucht
werden.
Die zwingende Katastrophe, in der Antike Dramen
zwangsläufig münden, ist in Homo Faber weniger schicksalhaft. Denn Faber nimmt
als Techniker und „Macher“ sein Schicksal selbst in die Hand – damit muss er
auch die Verantwortung für die Folgen seines Handelns tragen.
Dennoch ist es kein Zufall, dass es diese Parallelen
gibt, denn in antiken Dramen wurden häufig genug Menschen in der Hybris von den
Göttern und damit mit dem Schicksal bestraft.
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